Was haben Einsteins Relativitätstheorie (besonders die spezielle) und die Quantenphysik mit einem Roman über die Maya zu tun?

Beginnen wir mit der Relativitätstheorie. Nein, lieber Leser, keine Angst! Es wird kein wissenschaftlicher Blog-Eintrag, sondern einer, der sich mit Raum und Zeit beschäftigt, und somit auch mit dem Aspekt, ob Zeitreisen (Bewegung durch Zeit und Raum) wirklich funktionieren könnten. Immerhin reist die Protagonistin Chiara ja von der Gegenwart in die mystische Zeit der Maya, wo sie neue Erkenntnisse für sich gewinnt. Und Zeit ist auch deshalb das zentrale Thema, da Chiaras ursprüngliche Reise von Hamburg nach Yukatan, quasi ihre Flucht vor dem Tod, von ihrem Hadern mit dem Lebensende ausgelöst wird.

Doch vorerst ein wenig Hintergrundwissen für den Maya-Neuling:

Im Glauben der Maya gab es den einen Gott, den großen Schöpfer Hunab K’u [Hunab K-uh], was ‚Eins geheiligtes Wesen’ bedeutet. Er ist der Schöpfer, der einerseits das Universum und andererseits auch die materielle Welt mit den vier Elementen (Luft, Feuer, Wasser, Erde) erzeugte. Hunab K’u hat keine eigene Form der Darstellung, ist aber omnipräsent. Eine mögliche Interpretation der vielen Maya-Götter ist, dass sie lediglich unterschiedliche Erscheinungsformen Hunab K’us sind. Als höchste Gottheit war er der alleinige Verteiler von Maß und Bewegung (also Bewegung im Raum, was Zeit impliziert) und wurde durch das Prinzip der dynamischen Polarität tätig. Hunab K’u ist in allen Dingen vorhanden. Er lebt oder schwingt geradezu im ganzen Universum.

Um näher auf die Relativitätstheorie einzugehen, die sich ja bekanntlich mit der Raumzeit beschäftigt, hier vorerst ein kleiner Eindruck, wie die Maya mit dem Phänomen ‚Zeit’ umgegangen sind:

Zeit verläuft im Verständnis der Maya nicht linear, so wie für uns, sondern zyklisch. Sie pulsiert. Die Maya kennen in ihrer Sprache weder Formen der Zukunft noch der Vergangenheit. Stattdessen drückt man Zeit z. B. mit den Begriffen ‚Werden’ (alles ist am Werden) oder ‚vor Vielem’ (vor vielen Zyklen) aus.

Im Glauben der Maya wiederholen sich wichtige Ereignisse in endlosen Kreisläufen, die in der Struktur von Raum und Zeit (Bewegung) angelegt sind. Historische Geschehnisse sind somit spiegelbildlich verbunden oder symmetrisch aufeinander abgestimmt. Besondere Kalendertage werden von den Maya nicht aus nostalgischen Gründen begangen, sondern als Re-Aktualisierung, damit die heilige Energie des vergangenen geheiligten Tages erneut eintreten kann. Erst durch mythologisch bedingte Handlungen wird nämlich der Fluss der Dinge ermöglicht.

Zeit wird von den Maya nicht als Quantität, sondern als Qualität erlebt. Jeder Tag wird von einer anderen Gottheit geprägt und diese Qualität färbt sich dann auf das Handeln der Menschen ab. Handlungen haben somit keinen eigenen Wert. Auch jedem Zyklus wohnt eine Qualität inne, gedeutet aus der Kosmologie und den Konstellationen der Himmelkörper und ihren Schwingungen, also der Beziehung der Götter zueinander. Die Maya besaßen eine fast hörige Unterwerfung, was das Werden anbelangte. Die Unendlichkeitsdimensionen der Zeit und die ewige Wiederkehr des Vergangenen, also der Mysterien, zählte mehr als Einzelschicksale. Sie waren geradezu ‚zeit-besessen’.

Zeit hält ebenfalls die Weltenebenen (13 Himmel, Erde, 9 Schichten der Unterwelt) zusammen und setzt sie in Relation zueinander.

Wie wir in den oberen Abschnitten über Hunab K’u und die Faszination der Maya von ‚Zeit’ lesen konnten, war in der Weltanschauung dieser Kultur alles eng miteinander verbunden, da in jedem Ding ihr höchster Gott mitschwang. Ein Phänomen, das auch die Quantentheorie beschreibt, wobei den Maya das Dilemma des Beobachters unbekannt war.

Da sich natürlich nicht jeder, der meinen Roman genießen möchte, mit Physik auskennen oder gar Wikipedia und wissenschaftliche Literatur zum Verständnis des Romans heranziehen muss, füge ich hier das im gestrigen Blog angekündigte Kapitel ein (oder zumindest einen Ausschnitt), um zu zeigen, dass ich den Leser in meinem Maya-Roman ganz sanft in die Materie eintauchen lasse.

Die Protagonistin Chiara hat ihre ersten lebhaften Visionen in der Zeit der Maya visualisiert und fragt sich, ob sie lediglich fantasiert hat oder doch leiblich dort hingereist ist. Ein anderer Gast der Pension, in der Chiara auf Yukatan ihre Auszeit verbringt, ist Physiker und erklärt ihr Albert Einsteins Relativitätstheorie sowohl als auch die Quantenphysik:

 

 

Chiara, Dave und Jill schauten sich etwas verlegen an. Das Gespräch war verstummt und sie schienen alle drei das gleiche zu denken. Endlich sprach Jill es aus. „Was war das denn eben? So kenne ich Marga ja gar nicht.“

„Ich weiß es auch nicht. Aber es ist ihr letzter Abend und wenn sie nicht darüber reden möchte, sollten wir wohl nicht nachfragen.“

Chiara widersprach Dave in Gedanken, äußerte es aber nicht. Sie lenkte stattdessen das Gespräch zurück zur Physik. „Dave, auch ich habe eine Frage an dich. Bei meinem Besuch in Tulum habe ich erfahren, dass die Maya ein ganz anderes Zeitverständnis als wir besaßen. Für sie ist Zeit gleichbedeutend mit ‚kreisendem Werden’. Kannst du mir erklären, was es mit der Zeit rein wissenschaftlich gesehen auf sich hat?“

„Da können wir gleich bei E=mc² bleiben. Kennst du Einsteins spezielle Relativitätstheorie?“

„Wir haben mal in der Schule davon gesprochen. Verstanden habe ich sie aber nicht.“

„Das macht nichts, Chiara, das tut nämlich niemand so richtig, aber die Grundzüge kann ich dir erklären. Das c in dieser Formel steht für Lichtgeschwindigkeit, also die Zeit, die das Licht für seine Bewegung im Raum benötigt. Bevor wir aber zur Zeit selbst kommen, müssen wir einen Umweg machen und als allererstes ‚Gleichzeitigkeit’ definieren… Laut der speziellen Relativitätstheorie gibt es nämlich keine absolute Gleichzeitigkeit im praktischen Sinne. Eine derart objektive Gleichzeitigkeit ist nur möglich, wenn kein Raum zwischen zwei Ereignissen liegt.“

„Sonst wären sie außerdem durch Zeit getrennt.“

„Sozusagen.“ Dave nickte zustimmend. „Objektive Gleichzeitigkeit kann also nur vorkommen, wenn das Jetzt der beiden Ereignisse auf unendlich kleinem Raum in unendlich kurzer Zeit geschieht. Und das muss von jedem Standpunkt aus tatsächlich erfasst werden können. Man könnte auch sagen, dass, absolut gesehen, ein Ereignis nur mit sich selbst gleichzeitig existieren kann.“

„Zeit wäre auf den Punkt gebracht.“

Dave grinst. „Das ist aber nur bei der objektiven Gleichzeitigkeit notwendig. Anders ist es mit der subjektiven Gleichzeitigkeit, die mit dem Beobachter und seiner Position zu tun hat. Stell dir mal zwei unterschiedliche, gleich weit entfernte Sterne vor. Schalte ich mit einer Fernbedienung, durch nur einen Knopfdruck, je eine Lichtquelle auf ihnen ein, so erlebe ich ebenfalls Gleichzeitigkeit, nämlich im Aufleuchten der Lichtquellen. Diese Betrachtung ist aber nur von Standorten aus möglich, die sich auf einer unendlichen Fläche genau zwischen den Lichtern befinden. Für einen Beobachter, von dessen Posten die Sterne unterschiedlich weit entfernt sind, gehen die Lichter nacheinander an… Deshalb definiert Einstein Gleichzeitigkeit, im subjektiven Sinne, als relativ zum Standpunkt des Beobachters. Nur so hat der Begriff einen Sinn.“

„Bei der subjektiven Gleichzeitigkeit ist also objektive Zeit unwichtig…“

„… weil sich die Geschehnisse genau im Jetzt des Beobachters ereignen.“

„Wieso im Jetzt? Die Lichter gehen doch erst nach dem Knopfdruck an.“

„Es handelt sich aber trotzdem um das Jetzt des Betrachters, in dem die Lichter für ihn sichtbar werden. Auch wenn es ein späteres Jetzt ist als das, in dem er den Knopf drückt. Ereignisse sind weder in der Zukunft noch in der Vergangenheit beobachtbar… nur im Jetzt.“

Chiara setzte einen herausfordernden Gesichtsausdruck auf. „Aber was ist mit Zukunftsvisionen… oder Träumen, die in der Vergangenheit spielen?“

„Mal ganz abgesehen davon, dass Konstruktinhalte des Verstandes nicht von der Physik untersucht werden, können sie nur im Jetzt dieses Menschen erfahren werden. Dennoch glauben wir hartnäckig, dass Vergangenheit und Zukunft erlebbar sind. Wenn etwas für die Zukunft geplant wird, kann das doch letztendlich nur in der Gegenwart stattfinden. Und sobald wir uns an etwas erinnern, tun wir das auch in der Gegenwart. Im Jetzt sind Denken, Träumen oder Fantasieren die Ereignisse, unabhängig vom Inhalt. Also gibt es zwischen der Erlebbarkeit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Grunde keinen Unterschied.“

„Dann ist Zeit eine Illusion.“

Dave lachte auf. „Das ist für mich als Wissenschaftler etwas sehr verkürzt ausgedrückt.“

Chiara lächelte verlegen. „Entschuldige. Erzähl bitte weiter.“

„Sind wir uns so weit einig, was das Phänomen ‚Zeit’ anbelangt?“

Chiara überlegte. Sie erinnerte ihr Gespräch mit Milton übers Glücklichsein. Hatte er seine Ansichten darüber aus der Physik abgeleitet? Und grenzten ihre spontanen Kenntnisse über die Maya durch diese Art Zeitdefinition folglich an Verrücktheit? ‚Vielleicht bin ich gar nicht in die Vergangenheit gereist, sondern habe sie in meine Gegenwart geholt. Als ob die Zeitachse eine Schlaufe legt…’

Chiaras Gedanken wurden von Dave unterbrochen, der ihr Schweigen als Zustimmung gedeutet hatte und mit seiner Ausführung fortfuhr. „Da das c aber nicht für Zeit, sondern Lichtgeschwindigkeit steht, müssen wir sowohl die Bewegung als auch den Raum als Faktoren mit einbeziehen. Zu diesem Zweck betrachtet Einstein Beobachter, die sich relativ zueinander bewegen und das Verhalten von Raum und Zeit von ihrem Standpunkt aus ganz subjektiv beschreiben. Ein klassisches Beispiel sind zwei Züge: Einer fährt von links mit 50 Meilen, der andere von rechts mit 30 Meilen die Stunde in einen Bahnhof ein. Der erste Beobachter steht auf dem Bahnsteig. Er erzählt später dem Schaffner des Zuges von links, dem zweiten Beobachter, dass der Zug von rechts dreißig Meilen die Stunde fuhr. Der Schaffner wundert sich, denn ihm kam ein Zug mit achtzig Sachen entgegen. Sie haben beide recht, oder?“ Chiara nickte. „Unser Dilemma ist es also, dass Dinge verglichen werden müssen, um über sie reden zu können.“

„Und bei den Interpretationen kommt es immer wieder zu Missverständnissen, da die Standpunkte unterschiedlich sind.“ Chiara hatte die Sterndeuter der Maya im Sinn.

„So würde das dann ein Psychologe formulieren… Aber zurück zu unserer Formel, denn jetzt kommt der faszinierende Teil. Der Zug von rechts wird mit einem eintreffenden Lichtstrahl ausgetauscht, der sich beiden Beobachtern genau mit Lichtgeschwindigkeit nähert... Lichtgeschwindigkeit bleibt immer konstant, denn sie ist das maximale Tempo für Informationsübertragung. Egal, von wo aus sie beobachtet wird und wie sich der Beobachter bewegt. Kein Partikel, keine Welle und damit auch keine Information kann sich schneller als das Licht bewegen. Kannst du dir vorstellen, was andernfalls geschehen würde?“

„Die Vergangenheit würde die Gegenwart überholen können.“

Dave war begeistert. „Gut kombiniert, Chiara. Aber es stimmt nicht ganz, denn Vergangenheit existiert ja nur im Bewusstsein. Es wäre vielmehr so, dass Ursachen schneller wirken würden, als sie beobachtet werden könnten. Das Leben wäre total paradox.“

„Hm.“ Chiara presste ihre Lippen zusammen und überlegte. „Gib mir bitte mal ein praktisches Beispiel.“

Dave schmunzelte. „Es wäre so, als ob du eine Reise nach Mexiko plantest und hier ankämest, noch bevor jemand beobachten konnte, wie du in Deutschland losfährst.“

„Das hieße also in der Quintessenz, ein Zeitreisender könnte nie in die Zukunft reisen, sein Wissen von dort wieder mit in die Vergangenheit nehmen und die Menschen zum Beispiel vor etwas warnen?“

„Und zwar deshalb nicht, da der Zeitreisende weder in die Zukunft, noch in die Vergangenheit reisen könnte. Erstens gibt es nur das Jetzt und zweitens würde seine körperliche Information, also auch sein Gehirn, das gar nicht schaffen. Alles klar?“

„So einigermaßen.“ Chiara grübelte. „Dann muss also alles seinen geregelten Lauf gehen.“

„Nicht so ganz, wenn du damit das Verständnis unseres alltäglichen Lebens meinst. Dinge sind nämlich von der Raum-Zeit-Struktur abhängig und die ignorieren wir in unserem Denken.“

„Wie könnte ich mir diese Struktur denn vorstellen?“

„In ihr sind Raum und Zeit unmittelbar miteinander verknüpft. Wenn sich Objekte bewegen, schrumpfen sie, während sich die Zeit parallel ausdehnt und sozusagen langsamer fließt. Wahrscheinlich ist es am anschaulichsten, wenn ich dir das anhand der Raumfahrt erkläre. Hast du schon einmal davon gehört, dass Astronauten langsamer altern, wenn sie ins All fliegen?“ Chiara nickte. „Das hat etwas mit der Geschwindigkeit zu tun, mit der sie sich durch den Raum bewegen. Auch Uhren, die sich fortbewegen oder auf einer Bergspitze aufgestellt sind, gehen langsamer, als wenn sie sich auf Meereshöhe befänden… Ein anderes Modell hierfür liefern uns die Myonen, kleine Partikel in der Höhenstrahlung. Sie haben eine sehr kurze Lebensdauer, in der sie die Erdoberfläche eigentlich nicht erreichen könnten. Aufgrund ihrer enorm hohen Geschwindigkeit vergeht die Zeit für sie aber langsamer. Anders gesagt erfahren sie durch ihre Bewegung die Strecke bis zur Erde in der Länge verkürzt.“

„Dann nehmen sie eine Abkürzung?“

Dave grinste. „Tja, irgendwie schon, denn der Raum krümmt sich durch ihre Masse. Auf alle Fälle kann man die Myonen hier unten bei uns nachweisen… Du siehst, mit der Relativitätstheorie verbunden treten verschiedene Phänomene auf und revolutionieren unsere Vorstellung von Zeit und Raum.“

„Wow, dann werden also Zeit und Raum von Bewegung beeinflusst...“

„Genauer gesagt: von Geschwindigkeit.“

„Also gibt es Zeit gar nicht als messbare Größe.“

„Doch, das schon. Nur ist sie nicht absolut messbar, so wie Newton behauptet hatte. Für ihn waren Raum und Zeit noch getrennt. Zeit beschrieb er als eine Abfolge von Dingen.“

„Aber mit genau diesem Verständnis von Zeit lebt doch die ganze Welt.“

„Zumindest unsere westliche Gesellschaft. Deshalb ist die Vorstellung aber noch lange nicht physikalisch fundiert. Vergiss nicht, dass bei der objektiven Gleichzeitigkeit Raum und Zeit als voneinander getrennte Phänomene derart komprimiert wurden, dass sie sich auflösten. Das ist ebenfalls nicht besonders praxisnah, oder? Und wie du an den Maya und ihrem kreisenden Werden siehst, gibt es für den Verstand auch andere Möglichkeiten, Zeit in den Alltag zu integrieren.“

„OK, da hast du natürlich recht.“

„Einsteins Errungenschaft war also, dass er Raum und Zeit zusammenführte. In den Grundgleichungen der Relativitätstheorie erscheinen beide ziemlich gleichwertig, aber nicht voneinander losgelöst. Und deshalb verschwinden sie auch nicht irgendwann, so wie bei der objektiven Gleichzeitigkeit. Unsere Welt erfahren wir also erst dreidimensional, indem wir uns bewegen.“

„Ich kann Räume doch auch ganz bewegungslos begreifen.“

„Zumindest musst du aber deine Augen justieren und quasi Zeit zur Hilfe nehmen, sonst bleibt das Bild zweidimensional.“

„Folglich können wir Zeit nur erfahren, weil es den Raum gibt?“

„Eher umgekehrt. Raum und Zeit lassen sich zu einer vierdimensionalen Raumzeit vereinigen, wobei die vierte Dimension die Zeit ist.“

„Dann ist Zeit also Bewegung im Raum, anstatt einer Aufreihung von Geschehnissen auf einer Linie.“

Dave schmunzelte. „Bis zu der vierten Dimension mag das richtig sein. Nur wer weiß schon, was danach noch alles kommt? Physiker basteln sogar an Theorien, in denen sich die Elementarteilchen als schwingende Superstrings in bis zu sechsundzwanzig Dimensionen befinden. Diese zusätzlichen Dimensionen bergen bestimmt noch einige Aha-Erlebnisse. Allerdings haben sie sich bei der Entstehung des Universums quasi aufgerollt und sind für uns nicht sichtbar. In der großen Leere dort draußen vibrieren sie als Geisterbündel aus Energie.“

„Irgendwie unheimlich.“

„Physik ist eigentlich alles andere als unheimlich. Eher unvorstellbar…“

„Das sowieso…“

„Lass uns noch einmal die Zeitdimension betrachten. Ganz verkürzt gesagt besteht sie aus Bewegung im Raum. Merkst du, dass wir jetzt automatisch bei E=mc² gelandet sind?“

„Wieso?“

„Weil die Energie E der Masse m im Raum zugeordnet wird. Es geht, wie schon gesagt, um die Erhaltung der Gesamtenergie.“

„Und m bewegt sich in Lichtgeschwindigkeit.“

„Das c in der Gleichung drückt nicht die Geschwindigkeit irgendeiner Masse aus, vielmehr dient es dazu, dass der Ort des Beobachters gleichgültig wird und im System objektive Vergleiche von Ereignissen möglich werden. E=mc² ist keine gewöhnliche Gleichung, denn sie beschreibt die sogenannte Ruheenergie eines ganzen Systems, ihre objektive Gleichzeitigkeit… Vielleicht verstehst du das mit den Worten Immanuel Kants besser, der feststellte, dass Raum und Zeit Grundlagen für jegliche Erfahrung sind. Genauso ist die Lichtgeschwindigkeit im System eine Grundlage, da sie nichts anderes als Bewegung im Raum ist. Und Grundlagen sind Bedingungen. Sie müssen bereits vor der Erfahrung bestehen, also können sie nicht Gegenstand einer Erfahrung sein.“

Jill erahnte Chiaras Verwirrung. „Man könnte auch sagen, dass die Relativitätstheorie sich damit beschäftigt, wodurch der Mond und die Planeten zum Strahlen gebracht werden. Dass sie strahlen, stellt niemand infrage.“

Chiara schenkte Jill ein dankbares Lächeln. „Dann wäre Erfahrung eine Schnittstelle zwischen Physik, Psychologie und Philosophie?“

„Na ja“, lenkte Dave ein. „Sie berühren sich dort vielleicht… und nur ganz sachte, würde ich sagen, denn es geht ja um Erfahrungen mit grundsätzlich unterschiedlichem Charakter. In der Physik sind emotionale Inhalte unwichtig und es geht ganz nüchtern betrachtet darum, Erfahrungen zu berechnen.“

„Aber wenn Zeit nur eine Vorbedingung ist und in allen drei Wissenschaften letztendlich nicht erlebt werden kann, dann ist sie doch eine Illusion.“

„Du kannst einem das Wort ja ganz schön im Mund umdrehen, Chiara… Wir können nicht an Zeit teilhaben. Das stimmt. Wir können Zukunft und Vergangenheit nicht im Jetzt erleben, sondern sie uns nur vorstellen. Aber Einstein wird nicht gleich zum Philosophen, nur weil er eine Formel aufgestellt hat, die ein System beschreibt, in dem Zeit paradox wirkt.“

„Und was ist an der Vorstellung von Zeit so paradox?“

„Das Paradoxe daran ist, dass wir nur im Jetzt beobachten und trotzdem etwas über die Vergangenheit eines Objekts erfahren können. Für das Objekt sieht es aber so aus, als würde es erst in der Zukunft erfahrbar. Je weiter entfernt sich etwas befindet, desto mehr Zeit braucht man, bis man es beobachten kann, da die Information ja erst übertragen werden muss. Wenn ich einen Stern beobachte, der ein Lichtjahr von der Erde entfernt ist, schaue ich bei der Betrachtung seines Lichts genau ein Jahr in die Vergangenheit.“

„Du meinst, man muss nur weit genug von einem bereits erloschenen Stern entfernt sein, um ihn noch strahlen zu sehen?“ Chiara grinste.

„Das wäre dann nicht mehr Philosophie, sondern längst Poesie“, lenkte Dave seinerseits lächelnd ein. „Aber zurück zum Thema, Chiara. In Kurzform haben wir die spezielle Relativitätstheorie hier abgeschlossen. Bei der allgemeinen Relativitätstheorie kommt noch die Gravitation als Faktor hinzu. Gravitation entsteht, da sich Raum und Zeit krümmen. Das hatte ich ja vorhin bereits angedeutet. Und die Krümmung wird unter anderem durch die beteiligten Massen verursacht. Schwere Objekte unterliegen einem langsameren Zeitfluss, da sie den Raum stärker krümmen. Genau wie der schnelle Astronaut oder die Myonen…“

„Geschwindigkeit und Masse sind vergleichbar?“

Dave nickte. „Und wieder anders wird Zeit in der Quantentheorie verstanden: Raumzeit wird durch ein fluktuierendes Quantenfeld ersetzt, Vibrationen definieren das Vakuum, Fülle und Leere sind nicht mehr unterscheidbar.“

„Wow, genau so hat mir Kay die Null der Maya zu erklären versucht. Sie war eine Art Platzhalter zwischen Vollendung und Neubeginn... Wie kann ich mir das für meine Wahrnehmung der Welt vorstellen?“

„Physikalisch gesehen besteht der Raum aus reiner Energie.“

„Dann ist ein fluktuierendes Quantenfeld reine Bewegung im Raum.“

„Nein, das Quantenfeld beschreibt lediglich die Bewegung im Raum. Bis heute ist die Quantentheorie aber noch nicht mit der allgemeinen Relativitätstheorie zu vereinen. Man nimmt sogar an, dass sich beide widersprechen. Speziell mit der Gravitation in großen Systemen und besonders mit den schwarzen Löchern des Universums, die eine unendliche Masse besitzen, hat man so seine Probleme.“

„Die Aussage ‚wie im Kleinen, so im Großen’ ist nicht zu beweisen?“

„Nein, der Grundsatz der Alchemie wird paradox.“

„Du meinst, die spezielle Relativitätstheorie ist mit der allgemeinen und der Quantentheorie vereinbar, die allgemeine mit der Quantentheorie aber nicht?“

„So ist es.“

„Aber wenn Zeit doch paradox erscheint und die Theorien auch, dann liegt das vielleicht nicht an der Gravitation, sondern an der Zeit, die wir nicht richtig verstehen. Vielleicht sind Vergangenheit und Zukunft ja doch erfahrbar, weil alles nur im Jetzt existiert…“

„Von der Quantenphysik habe ich dir eigentlich nur erzählt, um dich zu beeindrucken… und du willst nun vereinen, was Wissenschaftlern seit Jahren nicht gelingt. Bei dir muss man ja richtig vorsichtig sein!“

„Eigentlich verstehe ich grad gar nichts mehr.“

Jill zwinkerte mit den Augen. „Mach dir nichts daraus, Chiara. Selbst Physiker verstehen einige ihrer Formeln nicht.“

Chiara stöhnte. „Danke, Jill. Übrigens, Dave… du brauchst mich nicht mehr zu beeindrucken. Da warst du schon vom ersten Satz an erfolgreich… Und du arbeitest damit jeden Tag?“

„Nicht mit der Relativitätstheorie, aber mit anderen verzwickten Dingen.“

„Wie hältst du das nur aus, dieses Gewirr im Kopf?“

„Vielleicht bekommen wir Physiker ja deshalb unsere Macken…“ Er grinste. „Letztendlich geht es jedoch lediglich um Naturgesetze.“

„Aber glaubst du nicht, dass man durch das Einbringen von Philosophie und Psychologie viel mehr in der Physik bewerkstelligen könnte?“

Dave schaute sie etwas verdutzt an. „Jetzt habe ich den Faden verloren.“

„Ich habe mal gehört, dass Einstein sich von Träumen und Visionen inspirieren ließ. Dadurch hat er doch bahnbrechende Ergebnisse erzielt.“

„Ich kann mir vorstellen, worauf du hinaus willst, Chiara“, mischte sich Jill wieder ein. „Physik und Philosophie sind lediglich unterschiedliche Weisen, das Universum zu entschlüsseln… Das Dilemma der Wissenschaften ist, dass sie in den Grenzen ihrer Lehre bleiben müssen, um anerkannt zu werden. Das wirkt sich manchmal wie Scheuklappen aus und produziert eine begrenzte Betrachtung der Welt. Deshalb ist es bis heute beiden noch nicht gelungen, alle Fragen zu klären. Letztendlich macht es der Wirklichkeit aber nichts aus, welche Formeln von der Physik festgelegt wurden. Sobald neue Erkenntnisse gemacht werden, passen die Physiker ihre Formeln zwar an, aber an der Realität hat sich dadurch nichts geändert… Nur an der Realität der Physiker... Dave, was wissen wir denn schon. Es ist doch gut möglich, dass Philosophie und Physik gar nicht so gegensätzlich sind…“ Dave verschränkte seine Arme vor der Brust. „Komm Dave. Erzähl Chiara von der Viele-Welten-Interpretation.“

„Jill, du weißt doch, was ich davon halte…“

„Na los, lass Chiara doch nicht einfach so in der Luft hängen.“

„Also gut… Aber nicht, dass du mir wieder irgendetwas in den Mund legst, Chiara.“

„Versprochen.“ Erwartungsvoll lehnte sie sich nach vorn.

„Ein Physiker aus den USA, Hugh Everett, hat diese verrückte Auslegung in die Welt gesetzt, weil er in der Quantentheorie zwar die Wellennatur der Materie akzeptieren wollte, jedoch nicht das Prinzip des Zufalls… Aber von vorn: In der Quantentheorie kommen Gleichungen mit den Variablen ‚Ort’ und ‚Impuls’ vor. Beobachtete Größen werden also einem Elementarteilchen zugeordnet, das sich gerade an einem bestimmten Platz befindet. Man musste allerdings feststellen, dass selbst bei bestmöglicher Präparation oder Isolation der Variablen, bei sich gleichenden Versuchen, verschiedene Messergebnisse entstanden, die sich immer zufällig über alle möglichen Ergebnisse hinweg verteilten. Nie sind die Resultate vorhersehbar... nur ihre Wahrscheinlichkeit, die sich als Welle darstellen lässt. Um es kurz zu machen: Es ist prinzipiell unmöglich, den Zustand eines quantenphysikalischen Systems vollständig zu bestimmen. Es gibt keine Vorhersage für das System. Der Zufall wird also fundamentaler Bestandteil der Quantentheorie und muss beachtet werden. Man spricht dabei vom ‚objektiven Zufall’, weil er nicht vom Beobachter beeinflussbar ist… Everett behauptet nun, dass alle von der Quantentheorie nicht ausgeschlossenen Möglichkeiten implizit bewiesen sind. Alle denkbaren Messergebnisse existieren anscheinend gleichzeitig, nämlich immer nur im Jetzt, und zwar in einem Universum, das aus vielen Welten von meist unabhängigen Paralleluniversen besteht. Die Tatsache, dass wir Zufälligkeit beobachten, ist dann darauf zurückzuführen, dass wir subjektiv nur ein Universum beobachten können… während andere Kopien von uns in anderen Universen die anderen möglichen Messergebnisse beobachten. Könnten wir alle Paralleluniversen beobachten, würde es alle möglichen Ergebnisse gleichzeitig zu erfahren geben und der Zufall wäre ausgeschlossen.“

„Das gefällt mir“, platzte Chiara heraus. Und nachdenklich fügte sie hinzu: „Aber wiederholen könnte ich es nicht.“

„Mir gefällt es deshalb nicht, da ich bezweifle, dass Beweise implizit sein können, wenn es nicht einmal eine Formel gibt.“

„Wie sagte der italienische Kernphysiker Enrico Fermi so schön? ‚Ich bin immer noch verwirrt, aber auf einem höheren Niveau’“, lächelte Jill.

„Du hast mich schon wieder gerettet, Jill. Obwohl diese Theorie doch irgendwie einen Zugang zur Vergangenheit möglich macht. Vielleicht gibt es die aufgewickelten Dimensionen ja nicht nur dort draußen in den Weiten des Universums, sondern auch hier auf der Erde. Und jedes Knäuel enthält alle möglichen Ereignisse. Dann wären in ihnen sogar Vergangenheit und Zukunft eingewickelt, die ja auch irgendwo bestehen müssen, wenn es nichts anderes als das Jetzt gibt.“

„Chiara, das würde sogar Everett zu weit gehen.“

„Na gut, dann eine andere Überlegung: Je weiter so ein Paralleluniversum entfernt ist, desto länger braucht die Information über das Jetzt auf seiner Reise zu uns. Stimmt’s?“ Dave nickte. „Und desto weiter können wir in die dort gelebte Vergangenheit zurückschauen.“

„Da sich unser Universum aber mehrere Millionen Lichtjahre ausdehnt, könntest du mit deinem kurzen Lebensalter nichts über deine Doppelgänger erfahren, wenn du das meinst, Chiara. So gerne du die Physik auch für deine Zwecke verdrehen möchtest, kannst du Ursache und Wirkung bei der Informationsübertragung nicht manipulieren.“

 

Ich denke, in diesen Zeilen werden sowohl die Prinzipien der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie, wie auch die der Quantentheorie ersichtlich, ohne einen Physik-Grundkurs darüber belegen zu müssen oder die Theorie in einer Universität studiert zu haben.

Abschließend möchte ich aber besonders betonen, dass ich weder die Physik noch die Maya für irgendeine Lebensanschauung verbiegen möchte. Chiaras Gedanken werden lediglich von den Maya und auch der Physik belebt. Sie dienen ihr auf symbolische Weise, das, was mit ihr geschieht, zu erklären. Genau das habe ich auch gestern über den Blog ‚Spiritualität’ zu erläutern versucht: Es ist nicht funktional, das Leben zu interpretieren. Viel wirkungsvoller ist es, die Symbole zu erkennen, die das Leben für uns bereit hält. Und dabei sollte sich niemand zensieren oder an sich zweifeln, denn das, was in mir auch nur die kleinste Schwingung auslöst, hat mir etwas zu sagen. Das Schwingen dort draußen im Universum wird plötzlich im Menschen zum Leben erweckt und er kann sich verbunden fühlen. Erst einmal nur mit seinem persönlichen Symbol, nach und nach dann mit allem, dem er begegnet.

Und somit wird sich der nächste Blog mit dem ‚Sinn des Lebens’ beschäftigen, der sich nie nur allein mit dem Materiell-Körperlichen oder dem Geistigen beschäftigen kann, sondern letztendlich doch ganzheitlich betrachtet werden muss, soll er nicht im leeren Raum schweben bleiben.