Kapitel 33 – Annäherung an den Feind, 9.15.6.14.6 (1./2.5.738)

 

Ein leichtes Schütteln an der Schulter ließ Óoxlahun Mo’ zusammenschrecken. Neben ihm kniete sein Onkel. „Der zweitgeborene tritt seinen Lauf durch die Unterwelt an. Wir müssen aufbrechen.“

Andere Krieger waren bereits dabei, sich zu wappnen, und auch Óoxlahun Mo’ raffte seine Ausrüstung zusammen. Der Marsch durch den tropischen Wald des Flusstals würde mühsam werden, denn man musste fern vom Ufer bleiben, um sich im Verborgenen der Nacht gefahrlos dem Feind zu nähern. Nur dank der Waffen ließ sich der Weg durchs Dickicht bahnen. Ein anstrengendes Vorankommen.

Die Männer waren zäh und hielten durch, bis Venus aus der Unterwelt hervor stieg, um durch die wenigen Lücken im Blätterwerk den Morgen anzukünden. Doch entdeckte man nun keine Stelle mehr fürs Lager. Suchend schleppte sich der Trupp voran. Die Umrisse im Unterholz wurden schon schärfer und erste Sonnenstrahlen erhellten den Himmel, als man endlich eine Lichtung fand. Nicht weit entfernt brüllte ein Affe im Geäst.

Erschöpft rollten die Männer ihre Matten aus und stärkten sich, als ein Sausen scharf die Luft durchschnitt. Óoxlahun Mo’ sprang auf. Ein gurgelnder Schrei drang an sein Ohr und der erste Wachposten fiel vornüber. Röchelnd sank ein anderer Krieger in sich zusammen und von allen Seiten flogen plötzlich scharfe Klingen nieder. Jemand erfasste den Prinzen an seinen Bändern, doch geschickt entriss er sich dem Griff, packte seinen Speer und starrte einem fremden Würdenträger direkt in das furchterregend bemalte Gesicht. Erst auf den zweiten Blick erkannte er Áayin K’uux, einen Großvetter K’ak’ Tiliw Chan Yopaats. Rasende Gedanken setzten ungeahnte Kräfte frei und mehrmals stieß Óoxlahun Mo’ energisch in Richtung Angreifer, um nach Raum und Zeit zu ringen. Dem nächsten Schlag wich er wendig aus, drehte sich um die eigene Achse und zog unterdessen seine Weste fest. Immer wieder suchte er nach seinem Onkel, bis er ihn im Kampf verwickelt sah. Es war K’ak’ Tiliw Chan Yopaat, der gnadenlos nach seinem Gönner hieb. Ein ungleicher Kampf, denn Waxaklahun Ub’ah K’awil war ohne Waffe und ebenso schutzlos wie seine Krieger. Kaum einer verfügte über Schild oder Speer und der Feind stürzte in Überzahl herbei. Immerhin schaffte es der König, den Stößen auszuweichen. Anderen Männern fehlte indes dieses wertvolle Geschick.

Trotz wiederholter Anstrengungen misslang es Óoxlahun Mo’, sich im Getümmel seinem Herrn zu nähern, denn unbeirrt wurde er mit einem Messer abgedrängt, während er selbst nur den langen Speer, der für den Nahkampf nicht zu brauchen war, in seinen Händen hielt. Áayin K’uux gab ihm nicht einmal die Gelegenheit, den Schild vom Rücken loszulösen. Um dichter an den Gegner zu gelangen, brach Óoxlahun Mo’ den Schaft der Lanze kurzerhand entzwei. Ein Augenblick ganz ohne Schutz, in dem ihm jemand eine Klinge in die Schulter trieb. Der Schmerz, der ihn durchfuhr, und die Missachtung traditioneller Zweikampfregeln erbosten ihn zutiefst. Mit einem zornigen Hieb schlug er den zerbrochenen Lanzengriff an die Schläfe seines Widersachers, dass der bewusstlos niederfiel. Als Óoxlahun Mo’ sich Áayin K’uux erneut zuwandte, zog ein Wurfbeil quer über sein Baumwollhemd, das nun in Fetzen auseinanderklaffte. Wie durch ein Wunder entstand darunter nur ein Kratzer und dennoch schnellte der Prinz dem Gegner nach, der das Beil geworfen hatte, um ihm den verkürzten Speer von unten in den Bauch zu treiben, dort, wo die Schwachstelle im Harnisch lag. Zügig entfernte er die Waffe aus dem Fleisch, wich zurück und ließ den überraschten Mann zu Boden taumeln. Dann suchte er erneut nach Áayin K’uux, bereit, dem nächsten Stoße vorzubeugen. Im letzten Augenblick sah er seinen Gegner und auch den aus gleicher Richtung anfliegenden Speer. Ein Seitwärtsschritt vermied das Schlimmste und doch musste er spüren, wie sich die Spitze durch die Weste und unterhalb des Schlüsselbeins in seinen Leib einbohrte. Dem Prinzen wurde schwarz vor Augen, denn die Klinge drehte sich im Fleisch und wurde grob herausgerissen, dass er nach vorne schwankte und dem nächsten Angriff gerade noch entweichen konnte. Von beiden Seiten war die Schulter nun verletzt.

Der Kampf forderte Óoxlahun Mo’s ganze Aufmerksamkeit und nur beiläufig wurde er gewahr, wie sein Onkel, am Schopf ergriffen, durch einen gezielten Tritt zu Boden fiel, von zahlreichen Kriegern überwältigt und gefesselt. Auch andere Männer stürzten schwer verletzt oder lagen bereits blutüberströmt.

Endlich fand Óoxlahun Mo’ den Moment, zum tödlichen Wurfe anzusetzen, da traf ihn ein Schlag auf die Hand und man entriss von hinten seinen Speer. Mit einem Sprung nach vorn zog er einem Gefallenen das Messer aus dem Leib. Erbittert merkte er dabei, wie seine Kräfte schwanden. Blut sickerte aus der Weste die Lenden nieder und die Schulter wurde lahm. Mit vereinter Kraft stürzte er in Richtung Áayin K’uux, doch kaum drang der von ihm gesetzte Stich durch dessen Weste.

Óoxlahun Mo’ erkannte, wie aussichtslos die Lage war und dass sich der Gegner nicht an alte Sitten hielt. Sein Wille, vom Feind nur tot gefasst zu werden, war fieberhaft entbrannt. Er täuschte einen Angriff vor, dessen Schwung er auf sich selbst hinlenkte, denn Angst vorm Sterben war ihm fremd. Doch wurde er durch Áayin K’uux am Todesstoß gehindert. Das Messer entglitt seinem Griff und mit letzten Kräften warf er sich dem Rivalen entgegen, direkt in dessen Klinge. Blut spritze aus der verletzten Ader und über den charakterlosen Feind, während Óoxlahun Mo’ niedersank, bereit, ins Jenseits einzutreten. Kaum lag er am Boden, ergriff Áayin K’uux seinen Schopf und riss das Haupt gen Nacken. Einen Fuß stieß er zwischen die erschlafften Schultern und höhnisches Gelächter hallte durch den Wald. Ein zweifelhafter Heldenmut, dennoch hatte seine Waffe den starken Feind zu Fall gebracht.

Waxaklahun Ub’ah K’awil verfolgte die Szene schwermütig und musste sich nun eingestehen, dass die Schlacht verloren war. Er schloss die Augen, stumm um Beistand betend, denn seinen Kriegern und Getreuen drohten ungewisse Tage. Lediglich sein eigenes Schicksal war besiegelt.

Dumpfes Trommeln verkündete den Triumph Quiriguás und wer es nicht schaffte, sein Leben zu beenden, wurde bald bezwungen und ebenfalls gefesselt. Ein Entkommen war trotz Wirren geradezu unmöglich, denn weitere Männer K’ak’ Tiliw Chan Yopaats traten plötzlich aus dem Wald hervor und überfluteten das Schlachtfeld. Man legte den Gefesselten Papierstreifen auf die Wunden, um sie als Opfer am Leben zu erhalten und das kostbare Blut nicht ans Schlachtfeld zu verschwenden, denn es sollte als Göttergabe einem höheren Nutzen dienen. Später nahm man den Gefangenen die Würdezeichen ab und brach ihnen damit den letzten Willen, sich zu wehren.

Óoxlahun Mo’ bekam von alldem nichts mehr mit. Das Kampfgebrüll um ihn herum starb ab und das Zurückreißen seines Kopfes spürte er noch kaum. Er schwebte bereits durch Raum und Zeit, in das Schattenbild einer Hütte, in der die kleine Frau aus seinen Träumen auf ihn wartete. Sie reichte ihm bitteren Kakao und lud ihn an ihr Feuer. Und sie blieb stumm. Doch drangen ihre Lehren unaufhaltsam in ihn ein.